Von Burkhard Scherer
Normalerweise hat man das nicht in einem Lokal: Taucheranzug, Echolot, Funkgerät, Positionslampen, Radargerät. Und Maschinentelegraphen, aus denen das Bier fließt. Normalerweise braucht man das nicht, und man braucht das auch hier nicht, denn Treffpunkt Kaiserhafen am Bananenpier in Bremerhaven ist ja kein Restaurantschiff, sondern ein erdverbundenes Lokal. Aber wenn man das alles hat, dann kann man – in diesem Fall jedenfalls – zu recht orig. Seemannskneipe an die Außenwand schreiben.
Wobei orig. hier nicht für original steht, sondern für originell. Und das ist sie schon deshalb, weil Gaststätten, die maritim daherkommen wollen, das meist mit Innenausstattungen aus Mahagoni und Messing signalisieren. Daß man das so macht, das hat der Innenarchitekt im 3. Semester gelernt. Im Treffpunkt Kaiserhafen gibt es keinen Innenarchitekten und keine Innenarchitektur als gezeichneten Plan, aber es gibt einen Mann, der die Sachen heranholt, die dann ins Lokal kommen, das ist der Chef Bernd Wormland. Der besitzt und führt die Speisegaststätte seit acht Jahren mit seiner Familie, und seither verändert sich das Bild ständig.
Auf einmal sind neue Tische drin, die fuhren früher auf der Kanalfähre Stena Fiesta zwischen Großbritannien und dem Kontinent hin und her. Auf einmal gibt’s im Kapitänszimmer eine Lampe in Schmetterlingsform, Designtyp Italien in den 50ern. Woher die kommt, weiß keiner mehr. Aber das ist die Ausnahme, grundsätzlich kann Bernd Wormland mit der Präzision eines Museumsführers die Geschichte der Gegenstände erklären. Kostprobe: »Das Radargerät da oben, das ist vom alten Feuerschiff Kiel noch, was heute also die Alexander von Humboldt ist«.
Dabei ist Herr Wormland alles andere als ein Museumsmann: Er ist als Schiffskoch gefahren, war Campleiter bei deutschen Baufirmen in Nigeria, Libyen und im Irak, weiß also, wie man einen Laden schmeißt. Und das ist gut so, denn manchmal geht es hoch her im Treffpunkt: Dann, wenn in der benachbarten Lloyd-Werft große Schiffe umgebaut werden, und deren Besatzungen sich die Zeit im Lokal vertreiben.
Solche Schiffsumbauten in der Nachbarschaft, das sind immer Zeiten, die sich in Veränderung oder Ergänzung des Treffpunkt-Mobiliars niederschlagen können. Wormland: »Das Funkgerät, das kommt von einer alten Bohrinsel, die ist – glaube ich – mal in die Türkei verkauft worden, und da hat der Kapitän gesagt: Also okay, das Funkgerät ist sowieso nicht mehr up to date, weil: das ist ja noch ‘ne richtig alte Kiste, so vor 25, 30 Jahren hat man sowas mal an Bord gefahren. Die Fachleute, die steh’n auch richtig davor und bewundern das Ding noch. Die sagen: Au, das war’n noch andere Zeiten – was die Seefahrt ja überhaupt so ist.«
Daß sich die Zeiten in der Seefahrt geändert haben, merkt man auch am Kaiserhafen-Publikum: Seeleute gibt’s in der Kneipe nur, wenn deren Schiff in Bremerhaven repariert oder renoviert wird.
Aber ob Seemann, Werftarbeiter oder Landratte, man kann damit rechnen, daß es nicht nur etwas zu sehen gibt, sondern auch ordentlich was auf dem Tisch: reichliche Portionen zu angemessenen Preisen bei zuvorkommender Bedienung. Insgesamt also eine Atmosphäre, die dazu einlädt, viel länger sitzenzubleiben als die Nahrungsaufnahme es erfordert.
Ein Hinweis noch: Sollten Ihnen diese schwärzlich marmorierten Kupferplatten, die manche Wände bedecken, besonders maritim vorkommen. Gerade die nun sind nie zur See gefahren, denn die waren in ihrem vorherigen Leben Platinen von Fernsehgeräten, mit denen besonders viele Seemannsfilme geschaut wurden.